Hightech und Lobbying: Zu Besuch in Luzerns Zigarettenfabrik

In Dagmersellen wird jede dritte Zigarette hergestellt, die hierzulande geraucht wird. Doch nun zieht die Politik die Schrauben an. Luzerns Zigarettenfabrik macht für zentralplus die Fabriktüren auf.

Rasend transportieren Fliessbänder braune Pappkisten an der Hallendecke entlang. Darauf zu sehen sind die Schriftzüge von Camel und Winston. Dann greift ein Roboterarm die Zigarettenkisten und stapelt sie auf eine Palette. Ein autonomer Gabelstapler setzt sich blinkend in Bewegung.

Die Halle, in der der Weltkonzern Japan Tobacco International (JTI) in Dagmersellen Zigaretten herstellt, ist von aussen grau und riecht von drinnen nach Tabak. Frischer Tabak, der aus Deutschland geschickt werde, erzählt Werksleiter Serkan Pusuroglu bei einer Führung. Daraus entsteht allerlei: lang, kurz, light, strong, Menthol, Lochfilter, ohne Filter, in 20er-, 26er- oder 58er-Packungen.

Der Maschinenbauer ist sichtlich stolz. Seit Anfang 2024 ist er für die Produktion verantwortlich, davor arbeitete er für JTI in Polen, Myanmar, der Türkei und beim Hauptsitz in Genf. Die Fabrik in Dagmersellen sei im internationalen Vergleich zwar klein, dafür aber topmodern. 9 bis 10 Milliarden Zigaretten werden hier pro Jahr eingerollt.

Gearbeitet wird im Dreischichtbetrieb, 24 Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Es ist laut in der Halle, in der die neun vollautomatischen Linien stehen. Vom Filter bis zum Karton muss kein Mitarbeiter das Produkt anfassen. Von den 400 Personen, die in der Produktion und im Büro arbeiten, sieht man nur wenige an diesem Vormittag.

Seit über 50 Jahren wird in Dagmersellen produziert

Eine halbe Stunde zuvor in einem Konferenzraum mit kleinen Wasserflaschen: Die JTI-Sprecherin Stephanie Peeters klickt durch ihre Präsentationsfolien. JTI sei das «am schnellsten wachsende Tabakunternehmen» des Landes. Schweizer Marktanteil für Zigaretten und Drehtabak: 28 Prozent. Acht von zehn Zigaretten landen im Ausland. Hauptexportmärkte sind Saudi-Arabien, Südafrika und Marokko.

Die Geschichte der Zigarettenproduktion in Dagmersellen reicht über 50 Jahre zurück. 1971 eröffnete der damals grösste Zigarettenproduzent der USA, die R. J. Reynolds Tobacco Company, eine Fabrik. 1999 verkaufte der US-Riese an ein japanisches Unternehmen, und JTI entstand.

Der Konzern sei «divers», «nachhaltig», und «nehme seine Verantwortung wahr», betont die Sprecherin. 36 Nationalitäten sollen in Dagmersellen arbeiten, eine PV-Anlage liegt auf dem Dach. 20 Wochen bezahlte Elternzeit sind garantiert. Ausserdem setzt die Firma für die Zukunft auf «Reduced Risk Products» wie Nikotin-Pouches, bekannt als Snus, und auf Ploom, einen Tabakerhitzer.

In der Luzerner Zigarettenfabrik nimmt man das neue Gesetz gelassen

In Dagmersellen wird aber nur eine Sache hergestellt: Zigaretten. Ein Produkt, dessen Konsum tödlich enden kann. 9500 Personen sterben jährlich in der Schweiz an den Folgen des Rauchens. Für die Allgemeinheit entstehen Kosten in Milliardenhöhe. Auch wenn Rauchen seit den 1990er-Jahren zurückgehe, greife immer noch jeder Vierte zur Zigarette, schreibt das Bundesamt für Gesundheit.

Stephanie Peeters hat für Fragen zur moralischen Verantwortung der Firma immer die gleiche Antwort: «Wie Alkohol, Zucker oder Fett ist auch unser Produkt mit Gesundheitsrisiken verbunden. Erwachsene können sich aussuchen, ob sie es konsumieren oder nicht.» Das Geschäft sei legal, über Risiken werde aufgeklärt.

So leicht ist es nicht: Der öffentliche und politische Druck auf die Tabakindustrie wächst. Am 1. Oktober ist nach langen Verhandlungen das neue Tabakproduktegesetz in Kraft getreten. Darin steht erstmals ein klares Abgabeverbot für unter 18-Jährige. Ausserdem schränkt es die Werbung der Firmen ein und zwingt sie zur Meldung ihrer Produkte.

Die JTI-Sprecherin nimmt die Verschärfung gelassen. Für ein Mindestalter 18 hätten sich Produzenten per Branchenkodex schon lange eingesetzt. Werbung gebe es bereits deutlich weniger als früher. Nicht im Kino, nicht im Fernsehen und nur wenige Plakate. Künftig soll aber noch mehr Werbung verschwinden, wie ein Blick nach Bern zeigt.

Initiative will Werbung stark einschränken

Im Februar 2022 haben Volk und Stände die Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung» angenommen. Sie verlangt, dass Tabakwerbung dort verboten wird, wo sie Kinder und Jugendliche erreicht. Landesweit stimmten 56 Prozent dafür.

Vergangenes Jahr kam die Initiative in den Ständerat. Dort wurden Ausnahmen eingeflochten: Tabakwerbung an Festivals soll weiter erlaubt sein, wenn sie Minderjährige nicht sehen. Auch «mobiles Verkaufspersonal» wird ausgenommen. SP und Grüne halten die Änderungen für einen Affront und blockierten sie mit der SVP – der das ganze Thema leidig ist – diesen Frühling im Nationalrat.

Bundeshaus in Bern: Hier wird die Tabakindustrie stärker an die Leine genommen.

In der Herbstsession kam die Initiative erneut in die kleine Kammer. Dort setzte sich unter anderem der Luzerner Ständerat Damian Müller (FDP) für die lockere Auslegung ein: «Ich bitte Sie hier wirklich, den gesunden Menschenverstand walten zu lassen», sagte er. Der Gesundheitspolitiker stammt aus Hitzkirch, 30 Kilometer von der JTI-Fabrik entfernt.

Im Kanton Luzern stimmten 2022 über 50 Prozent gegen die Initiative. Rund um Dagmersellen und im Entlebuch wurde die Verschärfung des Werbeverbots für Zigaretten besonders stark abgelehnt. JTI ist einer der grössten Arbeitgeber vor Ort. Das wirkt.

Tabaklobby ist in der Schweiz sehr stark

Dass die Abschwächung auf Festivals abzielt, ist kein Zufall. Werbung am Kiosk und in Zelten mit Alterskontrolle auf Festivals sei für JTI sehr wichtig, sagt die Sprecherin Stephanie Peeters. «Wir haben direkt oder über den Branchenverband Swiss Cigarette unsere Anliegen eingebracht.»

Diese Lobbyarbeit von Schweizer Tabakproduzenten steht schon lange in der Kritik. Im aktuellen Global Tobacco Index landet die Eidgenossenschaft auf dem vorletzten Platz. Nur in der Dominikanischen Republik kann sich die Tabakindustrie noch stärker in die Politik einmischen als hierzulande.

Die Zigarettenproduzenten nutzen dafür den Branchenverband Swiss Cigarette. Und hätten in der Vergangenheit auf die Unterstützung des Gewerbeverbands und der Bauern zählen können, wie der «Beobachter» schreibt. Auch, weil die Schweiz selbst Tabakbauern hat. Im Kanton Luzern wird die Pflanze ebenfalls kultiviert.

Stephanie Peeters verteidigt ihre Lobbyarbeit: «Es gibt Länder, wo die Politik nicht mit der Tabakindustrie spricht. Ich finde, dass eine legale Industrie am politischen Prozess teilnehmen sollte.» Politiker hätten einen Anspruch auf Informationen über die Branche. «Wir halten uns an die Spielregeln.»

  • Besuch und Gespräche vor Ort
  • Beitrag des BAG zu Tabakkonsum
  • Informationen zur Initiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung»
  • Protokoll aus der Ständeratssitzung 2024
  • Geschichte von Japan Tobacco International (JTI)
  • Website des Global Tobacco Index 2024
  • Artikel im «Beobachter» zur Tabaklobby
  • zentralplus-Medienarchiv zu Luzerner Zigarettenfabrik

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