Drei ehemalige Mitglieder von Komaja, einer spirituellen, polyamoren Gemeinschaft am Vierwaldstättersee, werfen dem Gründer sexuelle Übergriffe vor. Dieser reagiert und droht.
Ein dicker Umschlag landet bei zentralplus. Darin befindet sich ein offener Brief an das Bundesamt für Justiz (BJ) und mehrere Texte, in denen sich ein Mann verteidigt, dem vorgeworfen wird, eine Art Sexsekte zu führen und Frauen auszunutzen. Sein Name: Franjo Milicevic. Der 70-jährige «Guru Makaja» leitet in Gersau im Kanton Schwyz die Komaja-Stiftung.
«Plötzlich drückte er mich gegen einen Baum, küsste mich auf den Hals. Die Situation war mir sehr unangenehm, ich drückte ihn weg. Er meinte daraufhin, ich solle mich entspannen, meine Angst überwinden und mich ihm hingeben. Ich stand wie in Schockstarre da, fühlte meine Beine nicht und mir drehte sich der Magen um. Heute würde ich es als Todesangst beschreiben.»
Diese Schilderungen einer jungen Frau veröffentlichte die Sektenberatungsstelle Infosekta im Mai 2023 als Teil ihres Jahresberichts. Unter dem Titel «Missbrauch mit Methode» berichten drei Frauen von sexuellen Übergriffen durch Milicevic. Dieser weist die Vorwürfe jetzt zurück und schreibt: «Meiner Person und meiner Familie wird seitens Infosekta schweres Unrecht angetan.»
«Intensive sexuelle Betätigung mit verschiedenen Partnern»
Der Kroate Milicevic stammt aus Bosnien und Herzegowina. Mit 21 Jahren soll er eine erste Erleuchtung erfahren haben. Seit 1987 ist der «Guru» in der Schweiz aktiv, durch die Heirat mit einer Schweizer Pfarrerstochter wurde er Schweizer und lebt auf dem Mittelurmi oberhalb von Gersau. So beschreibt die kirchliche Fachstelle «Relinfo» seinen Werdegang.
Weiter erläutert die Stelle, woran die Anhänger der Komaja-Bewegung glauben. «Die sexuelle Leidenschaft ist für Makaja dasjenige, was den Menschen vom Göttlichen trennt.» Um sie zu überwinden, üben sich Mitglieder abwechselnd in Phasen der Sexlosigkeit und «intensiver sexueller Betätigung mit verschiedenen Partnern». Die polyamore Gemeinschaft stütze sich auf esoterische Lehren und Aspekte des Tantra.
«Das erste Mal mit Franjo war abstossend und ekelerregend für mich, es war wie eine Vergewaltigung. Als ich Stopp sagte, hörte er nicht auf. Am nächsten Tag erzählte ich seiner Freundin davon, wie schrecklich es für mich war. Sie meinte nur, das sei normal, sie habe es beim ersten Mal Sex mit ihm auch so empfunden, aber man würde sich daran gewöhnen, es brauche eben etwas Zeit, um die Widerstände aufzulösen.» (Aus: «Missbrauch mit Methode»)
Gemäss «Relinfo» hat der Sex-Guru Milicevic keine sexuellen Bedürfnisse mehr, übe Sex aber aus, um seinen Anhängern spirituell weiterzuhelfen. Dabei würden strenge Verhütungsvorschriften gelten. Zwischen 100 und 300 Mitglieder soll die Gemeinschaft haben. Viele seien «akademisch gebildet und konservativ christlich». In wöchentlichen Sitzungen, Kursen und einer Sommerschule in Kroatien werde Tantra praktiziert und meditiert.
Sex-Guru droht Frauen mit intimen Details
Die von den drei Frauen geschilderten Übergriffe, die Infosekta veröffentlicht hat, weist Milicevic in seinem offenen Brief an das Bundesamt für Justiz deutlich zurück. Er wirft der Fachstelle für Sektenberatung eine «Hexenjagd auf Andersgläubige vor» und kritisiert, dass er und seine Partnerinnen zu den Vorwürfen nicht befragt worden seien.

Der nach eigenen Angaben sechsfache Vater sieht sich und seine Ehefrauen durch die Berichterstattung von Infosekta auch existenziell bedroht. Buchungen in seinem Meditationszentrum würden wegbrechen, seine Stiftung habe «erheblichen» finanziellen Schaden erlitten. Daher droht er seinen drei Ex-Partnerinnen jetzt, weil sie mit der Sektenberatungsstelle gesprochen haben.
«Sollten sie solche oder ähnliche Aussagen, die mich als Bösewicht darstellen, wiederholen, werden manche intimen Teile mehrerer Jahre ihres liebeserotischen Lebens in vielen Medien erscheinen», steht in einem Text, der dem offenen Brief beiliegt. Auch familiäre Details der Frauen droht der «Guru» zu veröffentlichen, der nach eigenen Angaben über Beweise verfügt, dass die sexuellen Beziehungen einvernehmlich waren, inklusive Fotos und Videos. Ausserdem droht Milicevic, gerichtlich gegen Infosekta vorzugehen.
Komaja-Mitglied schreibt für Sex-Guru ein «Bekenntnis»
«Wenn ich etwas Mut aufbrachte und versuchte, die Beziehung zu ihm zu beenden, sagte er mir sinngemäss: Wenn Dich meine Energie und Unterstützung verlassen, wird das ein Schock für Deine Seele sein. Schlimme Dinge werden Dir zustossen. Du wirst ein unglückliches Leben als fette oder gar psychisch kranke Frau leben, so wie jene Frauen, die bereits gegangen sind. Solche Vorhersagen liessen mich immer mehr an mir selbst zweifeln und brachten grosse Ängste in mein Leben.» (Aus «Missbrauch mit Methode»)
Milicevics fordert im offenen Brief nun Wiedergutmachung: Infosekta soll seine ausführliche Gegendarstellung zu den Anschuldigungen veröffentlichen sowie einen Erfahrungsbericht seiner nach eigenen Aussagen jüngsten Partnerin. Der dreiseitige Text trägt den Titel «Mein Intimleben mit dem geistigen Meister – ein Bekenntnis» und liegt dem offenen Brief bei.
Darin beschreibt eine 23-jährige Frau ihre psychischen Erkrankungen in der Jugend, ihr Kennenlernen mit Milicevic vor zwei Jahren und ihre sexuelle Beziehung mit ihm. Er habe von ihr keine «seltsamen Dinge» verlangt, der Sex sei einvernehmlich verlaufen und sie werde nun seiner Gruppenehe beitreten. Mitte Juni 2024 soll auch Infosekta den Text erhalten haben, hat ihn aber nicht veröffentlicht.
Sektenberatungsstelle aktuell nicht erreichbar
Die Sektenberatungsstelle Infosekta bietet seit 1991 Informationen und Beratungen zu umstrittenen Gemeinschaften an. Geschäftsführerin des Vereins ist die Psychologin Susanne Schaaf. Sie sagte kürzlich zu zentralplus, ihr Angebot werde enorm stark genutzt.
Die Fachstelle, die durch Spendengelder und Subventionen der Stadt Zürich, des Kantons Zürich und des Kantons St. Gallen finanziert wird, schrieb bereits, Kritikerinnen würden Milicevic «sektenhaftes Verhalten» vorwerfen. Auf Anfrage von zentralplus schreibt Schaaf nun:
«Wir haben Herrn Milicevic mehrfach angeboten, eine Gegendarstellung einzureichen, leider ist das bisher nicht geschehen bzw. er hat uns lediglich Ausführungen zugestellt, die nicht auf den Text eingehen, sondern unsere Zeuginnen diffamieren.»
Kritik an Milicevic formuliert auch die kirchliche Fachstelle «Relinfo». Auf deren Website heisst es, dass seine Haltung zum Mindestalter für Sex unklar sei. Zweitens bestehe das Risiko von sexueller Abhängigkeit und drittens erschwere die Einbindung der Mitglieder ins «polygame Gefüge einen späteren Austritt ganz erheblich». Beide Aspekte sind Kennzeichen von Sekten.
Der Sex-Guru selbst sieht das anders. In einem Interview mit einer deutschen Zeitung sagte er von einigen Jahren: «Die Frauen jagen mich.» Nun verlangt er vom Bundesamt für Justiz Schützenhilfe. Die Schweiz solle eine «Ombudsstelle für religiöse, spirituelle und Weltanschauungsminderheiten» schaffen, damit die Diffamierung, der er sich ausgesetzt fühlt, endlich ende.