Neu gibt es in Luzern eine Kommunistische Zelle. Zwei Mitglieder erzählen, warum sie davon ausgehen, dass die Revolution bevorsteht – und machen eine politische Ankündigung.
Fragt man Ilja, was er beim Wort Zelle denkt, blinzelt er. Eine Zelle sei ein fundamentales, zentrales Objekt, sagt er dann. Kein Organismus ohne Zelle. So überlegt habe er nicht, als er im Herbst die Kommunistische Zelle Luzern gegründet hätte. Ihm habe das Wort gefallen.
Ilja ist 22 Jahre alt und Kommunist. Offen erzählt der junge Mann mit welligem braunem Haar und Bart in einem Luzerner Neustadt-Café, warum der Kapitalismus enden müsse. Neben ihm sitzt Genossin Laura – so stellt er die Anfang 20-Jährige im roten Rollkragenpullover vor. Auch sie wird offen erzählen, warum sie Kommunistin ist, will in diesem Artikel aber ohne Foto und nur mit einem Pseudonym auftreten. Warum? Auf einer alten Arbeitsstelle sei ihr wegen ihrer kommunistischen Einstellung mit der Kündigung gedroht worden.
Unterschiedliche familiäre Hintergründe
Ilja ist in Rothenburg aufgewachsen, als Kind eines Lehrers und einer Betreuerin. Linke Inhalte kennt er aus dem Elternhaus, als Jugendlicher hat er sich politisch radikalisiert. Bei den Klimastreiks von Fridays for Future lernte er das Demonstrieren. Dann folgte eine Phase des Anarchismus, nun ist der Lehrling Kommunist.
Anders Laura: Sie kommt aus einer FDP-Familie. Gutbürgerlich, Mutter selbständig, Tochter mit Matura. Ihre Politisierung begann mit der Flüchtlingskrise, den SVP-Kampagnen gegen Ausländer und den Klimastreiks. Wie ihr und Ilja gehe es vielen ihrer Generation, diagnostiziert sie.
«Bankenkrise, UBS-Rettung, Flüchtlingskrise, Corona, Ukraine, Inflation, Energiekrise, Palästina: Der durchschnittliche 16-Jährige ist nur mit Krisen aufgewachsen.» Ilja ergänzt: «Eine bestimmte Schicht hat erkannt, dass der Kapitalismus uns alle an die Wand fährt. Diese Menschen suchen wirklich radikale Lösungen.» Als radikal bezeichnet er den Willen, mit dem herrschenden System zu brechen.
«Der Funke» zählt schweizweit etwa 300 Mitglieder
Im Herbst hat Ilja daher die Kommunistische Zelle Luzern gegründet. Und im Magazin «Der Funke» darüber geschrieben. «Der Funke» ist die Schweizer Sektion der 1993 gegründeten International Marxist Tendency (IMT). Die internationale Bewegung bezeichnet sich als Gruppe von «Arbeitern und Jugendlichen» für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft.

Caspar Oertli ist Mediensprecher des Vereins «Der Funke» mit Sitz in Bern und schreibt: «Wir haben uns in den vergangenen Monaten als Organisation verdoppelt.» Aus 18 Ortsgruppen in 6 Städten seien 39 Ortsgruppen in 15 Städten und Regionen geworden. Im Herbst dazugestossen seien Neuchâtel, Wallis, Biel, Berner Oberland, Jura, Tessin und Luzern. Diese Woche seien auch Gruppen in Winterthur und Zug entstanden. «Der Funke» habe jetzt schweizweit rund 300 Mitglieder.
Die Zelle in Luzern zähle sechs aktive Mitglieder, die sich mehrmals wöchentlich träfen, erzählt Ilja. Bei der fixen Wochensitzung gebe es einen praktischen Teil und einen Bildungsteil. Neben Marx und Lenin gehe es um Fragen der Zeit. Zum Beispiel um Palästina.
Eine umstrittene Position im Palästinakonflikt
Ein Blick auf die Startseite von «Der Funke» zeigt, dass der neu entflammte Nahostkonflikt die Genossen umtreibt. «Es so darzustellen, als hätte der Konflikt mit dem 7. Oktober angefangen, finde ich absurd», sagt Ilja resolut. Mit dem Datum bezieht er sich auf den jüngsten Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas, bei dem über 1000 Israelis ihr Leben verloren. Für Ilja eine Folge der seit 70 Jahren andauernden Vertreibung der Palästinenser durch Israel.
Laura und Ilja ist bewusst, dass einige Pro-Palästina-Positionen dies als israelfeindlich und antisemitisch deuten. Beides weisen sie von sich. Schuld seien nicht die Israelis, sondern die herrschende Klasse in Israel, die Palästinenser aus eigenen Motiven unterdrücke, führt Laura aus. Als Kommunisten ständen sie auf der Seite des unterdrückten Volks.
Die Revolution steht kurz bevor
Ein Volk zu unterdrücken, gelingt gemäss Karl Marx, dem wichtigsten Theoretiker des Kommunismus, durch den Einsatz von Kapital. Sein gleichnamiges Hauptwerk haben Ilja und Laura nur als Zusammenfassung gelesen. Vom «Manifest der Kommunistischen Partei» erzählen sie mehr. Auf 23 Seiten erklärt Marx darin den Ablauf der kommunistischen Revolution und endet mit den ikonischen Worten: «Proletarier aller Länder, vereinigt euch!».
Wie die Anhänger der Idee vor 176 Jahren glauben Ilja und Laura, dass die Zeit dafür reif ist. «Erstmals seit Jahrzehnten radikalisieren sich junge Arbeiter in der Schweiz wegen ihrer Lebensbedingungen», beschreibt Laura, was sie bei den Ortsgruppen von «Der Funke» erlebt hat. Der «Schweizer Imperialismus» sei im Niedergang, die Revolution stehe bevor.
«Wir bei ‹Der Funke› sind quasi die Experten der Revolution. Die Revolution machen muss die Arbeiterklasse», erklärt Laura. Dass kommunistische Revolutionen auch zu Unrechtsstaaten wie der Sowjetunion und China geführt hätten, sei kein Beweis gegen das System. «Der Diktator Stalin ist nicht die Konsequenz der Revolution. Er hat sie kaputtgemacht.» Kommunismus funktioniere nur mit einer «internationalen Revolution».
Damit möglichst viele Menschen auf die Revolution vorbereitet seien, gelte es, schweizweit Kommunisten auszubilden, erklärt Ilja. Mit Gewalt sei das unmöglich. «Unser wichtigstes Werkzeug ist die Zeitung.» Die aktuelle Ausgabe der gleichnamigen Zeitung lässt sich im Onlineshop von «Der Funke» für 5 Franken bestellen.
«Der Funke» gründet eine neue Partei
«Die heutige Jugend zieht schneller revolutionäre Schlüsse. Als unsere Eltern jung waren, sahen sie noch die Erfolge des Systems. Zum Beispiel, sich hochzuarbeiten und ein Haus zu kaufen. Diese Ära ist vorbei. Die Jugend hat mit dem System abgeschlossen und will kämpfen», sagt Laura mit festem Blick.
Daher wird «Der Funke» am 12. Mai eine Partei gründen. Diesen Montag lanciert der Verein die Kampagne dazu. Die «Revolutionäre Kommunistische Partei» soll der Bewegung ein neues Gesicht geben – auch, wenn sie vorerst bei Wahlen nicht antritt.
- Gespräch mit Ilja und Laura
- Schriftlicher Austausch mit Caspar Oertli, Mediensprecher «Der Funke»
- Website von «Der Funke»